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Stellungnahme der LIGA Berlin zu den Kürzungen der zuwendungsfinanzierten Projekte im Bereich der freien Straffälligen- und Opferhilfe
Berlin, den 30. Oktober 2024
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner,
sehr geehrter Herr Senator Evers,
sehr geehrte Frau Senatorin Dr. Badenberg,
mit großer Sorge wenden wir uns an Sie aufgrund der Kürzungen der zuwendungsfinanzierten Angebote der freien Straffälligenhilfe im Berliner Doppelhaushalt 2024-2025. Diese Kürzungen sind im wahrsten Sinne des Wortes gefährlich, sowohl für straffällig gewordene Menschen selbst als auch für die Opfer von Straftaten und die innere Sicherheit des Landes Berlin. Wir appellieren eindringlich an Sie, diese Kürzungen zurückzunehmen.
Bisherige und geplante Kürzungen
Seit Spätsommer 2024 sind die von der Justizverwaltung finanzierten Projekte der freien Straffälligenhilfe besonders hart von Zuwendungskürzungen betroffen. Bei den meisten Projekten betragen diese Kürzungen zwischen 3% bis zu 25% im Vergleich zum Vorjahr. Bei anderen Angeboten wurden Zuwendungen um weitere 15% gekürzt, nachdem die Träger ihre Antragssummen bereits auf Anfrage der Justizverwaltung reduziert hatten.
Die Kürzungen im Jahr 2024 führten bereits bei mehreren Trägern zu Kündigungen von Personalstellen und Einschränkungen von Angeboten und Betreuungskapazitäten. Dies betrifft wichtige Angebote des Übergangsmanagements und der Entlassungsvorbereitung, Angebote für Kinder von Inhaftierten sowie Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung im Justizvollzug. Weitere Projekte im Bereich der Prävention sowie der Opferhilfe erhielten Zuwendungen auf der Grundlage des Vorjahres – trotz gestiegener Miet- und Betriebskosten und steigender Bedarfe.
Zudem nehmen wir von aktuellen haushaltspolitischen Beratungen des Senats wahr, dass im Jahr 2025 darüber hinaus noch weitere Kürzungen in der freien Straffälligenhilfe anstehen, welche zu erheblichen Einschränkungen von Angeboten und zum Abbau von Projekten und Personalstellen führen würden. Es droht die Einstellung kompletter Angebote. Dieses Vorhaben widerspricht jeder Logik der Resozialisierung und öffentlicher Sicherheit.
Einschränkung von Angeboten der Resozialisierung
Die Angebote der freien Straffälligenhilfe leisten einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung und damit auch zur Prävention weiterer Straftaten und zur inneren Sicherheit insgesamt. Die aktuellen und geplanten Kürzungen verhindern diese Bemühungen und bewirken konkret, dass deutlich weniger Täter*innen und straffällig gewordenen Menschen beim Ausstieg aus der Kriminalität geholfen wird. Gescheiterte Resozialisierung bedeutet steigende Kriminalität, mehr Strafdelikte und mehr Opfer. Dies ist angesichts aktuell steigender Deliktzahlen nicht nachvollziehbar.1
Viele Haftentlassene werden in die Arbeits- und Wohnungslosigkeit entlassen, ohne Zugang zu existenzsichernden Sozialleistungen. 2023 wurden 38% der Haftentlassenen in Berlin in die Wohnungslosigkeit entlassen, weiterhin verfügten 39% der Haftentlassenen über keinen geklärten Aufenthaltsstatus.2 Viele Inhaftierte leiden unter Suchterkrankungen oder psychischen Störungen und brauchen proaktive Hilfe zur Anbindung an therapeutische Angebote. Ohne ein stabiles Unterstützungsnetzwerk, treibt diese prekäre Ausgangslage viele Haftentlassene zum Rückfall in kriminelles Verhalten. Maßnahmen zur Resozialisierung sind deshalb unerlässlich, um solche „Drehtür-Effekte“ aufzubrechen, Kriminalität entgegenzuwirken und innere Sicherheit zu bewahren.
Indem der Abbau von Leistungen der Resozialisierung zu erhöhter Rückfälligkeit führt, wird dieses Sparvorhaben den Landeshaushalt mehr belasten als die Kürzungen kompensieren können. Bei ca. 229 € pro Hafttag kostet ein Inhaftierter mindestens 83.585 € pro Jahr.3 Hochgerechnet auf die erwartete erhöhte Rückfälligkeitsquote und erneute Freiheitsstrafen aufgrund von Einschränkungen der Straffälligenhilfe wird schnell klar, dass die erwartbaren zusätzlichen Haftkosten die angestrebten Haushaltseinsparungen weit übersteigen.
Täterarbeit und Prävention geschlechterspezifischer Gewalt
80% der polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen häuslicher Gewalt werden eingestellt. Auch existiert ein großes Dunkelfeld, da Taten oft nicht angezeigt werden. Angebote der Täterarbeit und Gewaltprävention richten sich an gewalttätig oder übergriffig gewordenen Menschen, um sie außergerichtlich zur Verantwortung zu ziehen und weitere Gewalten zu verhindern. Sie tragen zur inneren Sicherheit bei, schützen vor weiteren Übergriffen und verhindern zusätzliche Opfer. Somit werden auch Polizei und Justiz entlastet.
Deshalb sind Täterarbeit und Gewaltprävention Teil des Berliner Landesaktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, auch als sog. priorisierter Maßnahmen. Statt diese bedarfsgerecht auszufinanzieren, wurden 2024 die Angebote der Täterarbeit und Gewaltprävention, trotz gestiegener Kosten, auf Grundlage des Vorjahres finanziert.
In anderen Fällen wurden Träger von der Verwaltung aufgefordert, ihren Zuwendungsanträge selbst zu reduzieren. Bereits 2023 wegen geringer Kapazitäten konnten nur 3% der gewaltausübenden Personen beraten werden. In diesem Jahr mussten noch weitere mussten Angebote und Arbeitsstunden reduziert werden, um die knappen Zuwendungen zu kompensieren. Diese Sparpolitik widerspricht den Pflichten des Landes Berlin zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Angesichts der seit 2021 stark steigenden Zahlen geschlechterspezifischer Gewalt sind Kürzungen in diesem Bereich nicht hinnehmbar.
Familienorientierung und Kinder von Inhaftierten
Inhaftierung hat schädliche Auswirkungen nicht nur bei den Inhaftierten selbst, sondern auf das gesamte Familiensystem. Kinder von Inhaftierten sind einem höheren Risiko ausgesetzt, unter psychischen Beeinträchtigungen zu leiden und stellen eine Risikogruppe dar, später selbst delinquentes und straffälliges Verhalten zu zeigen. Angebote der familienorientierten Arbeit im Justizvollzug wirken diesem Risiko präventiv entgegen und helfen inhaftierten Eltern dabei, Beziehungen mit ihren Kindern aufrechtzuerhalten und ihren Erziehungsaufgaben trotz allen Hürde n nachzukommen. Diese Familienarbeit minimiert das Rückfallrisiko der inhaftierten Eltern und unterstützt ihre Resozialisierung nachweislich.
Die Einsparungen im Jahr 2024 führten dazu, dass diese Angebote nicht mehr flächendeckend stattfinden können. Von Kürzungen betroffen sind pädagogisch begleitete Kinderzeiten in der JVA, Sozialkompetenz-Trainings und Beratungsangebote für inhaftierte Eltern sowie Familienkonferenzen. Versorgungslücken der Familienarbeit in der Jugendstrafanstalt und der JVA für Frauen bleiben bestehen. Diese Kürzungen könnten langfristig schädliche Folgen für den familienorientierten Justizvollzug in Berlin sowie für die Kinder von Inhaftierten haben, insbesondere wenn weitere Kürzungen im Jahr 2025 umgesetzt werden.
Opferhilfe und Opferorientierung
In ihren Zuwendungsbescheiden 2024 wurden die meisten Träger der freien Opferhilfe auf der Grundlage ihrer Zuwendungen vom Jahr 2023 finanziert, auch nachdem sie gestiegene Miet- und Betriebskosten nachwiesen. Die Angebote und Beratungsstellen der Opferhilfe leisten unverzichtbare Arbeit in der Aufarbeitung von Traumata und Verletzungen der Betroffenen, welche allein durch die Bestrafung der Täter*innen nicht ausreichend erfolgen kann. Sie vermitteln an notwendige Hilfsangebote weiter, wie z. B. Spezialambulanzen für sexualisierte Gewalt oder sichere Kriseneinrichtungen und leisten Unterstützung für die Betroffenen von u. a. Missbrauch, Stalking, Hasskriminalität und häuslicher Gewalt.
Die Unterfinanzierung der Angebote der Opferhilfe würde zugleich die Einschränkung von präventiven Angeboten bedeuten, die in Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz erbracht werden und zum Opferschutz erheblich beitragen. Geringere Personalressourcen der Opferhilfe führen auch zu längeren Wartezeiten für Betroffene, sodass in manchen Fällen die Spuren von Delikten nicht erfasst werden können. Um Betroffene zu schützen, ist die bedarfsgerechte Ausfinanzierung der Opferhilfe absolut notwendig.
Wir fordern keine Kürzungen in den Angeboten der Straffälligen- und Opferhilfe!
Strafrecht ist auf die Resozialisierung der Verurteilten sowie den Schutz der Gemeinschaft ausgelegt: Werden diese Aufgaben nicht erfüllt, erfüllt auch das Strafrecht nicht seinen Zweck. Die freie Straffälligenhilfe trägt erheblich zur Resozialisierung straffällig gewordener Menschen
und damit auch zur öffentlichen Sicherheit bei. Sie entlastet die Organe der Justiz durch die Übernahme wichtiger sozialer Dienste, während das Entgegenwirken von Rückfälligkeit langfristig zu Haushaltseinsparungen führt. Straffälligenhilfe und Opferhilfe sind zwei Seiten der Medaille: Resozialisierung und Täterarbeit wirken präventiv gegen künftige Straftaten und Opferhilfe hilft diejenigen, die bereits von Straftaten betroffen sind. Diese Angebote sind systemrelevant für einen modernen Rechtstaat und eine vielfältige Stadtgesellschaft.
Eine Sparpolitik, die die Aufgaben der sozialen Strafrechtspflege verhindert, gefährdet mehr als nur Personalstellen und Angebotsstrukturen: Sie gefährdet die öffentliche Sicherheit, die Interessen der Opfer sowie die humane Logik der Resozialisierung.
In diesem Sinne fordern wir Sie eindringlich auf, die Kürzungen zurückzunehmen und die bedarfsgerechte Finanzierung der freien Straffälligenhilfe und Opferhilfe sicherzustellen.
Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Asch
Federführung
Kontakt:
LIGA Berlin Federführung:
Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-
schlesische Oberlausitz e.V.
_________________________________________________ 1 Die Polizeiliche Kriminalstatik 2023 (Bundesministerium für Inneres und Heimat, März 2024) erfasste im Land Berlin 2023 einen Anstieg von 8,6% im Bereich der Gewaltkriminalität, also 16.897 Fällen mehr als im Vorjahr. Dazu gehörten Anstiege um 2,1% bei Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, 2,4% bei Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, 17,4% bei Raubdelikte und 6,8% bei gefährlichen und schweren Körperverletzungen. 2 Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 19/19 078, Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Taylan Kurt (GRÜNE) vom 7. Mai 2024 zum Thema: Haftentlassungen in die Wohnungslosigkeit und Antwort vom 22. Mai 2024. 3 Berliner Justizvollzug, „Zahlen und Fakten“, https://www.berlin.de/justizvollzug/service/zahlen-und-fakten/
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2024-10-30_Stellungnahme der LIGA Berlin zu den Kürzungen der zuwendungsfinanzierten Projekte im Bereich der freien Straffälligen- und Opferhilfe