5.6 Modellprojekt: Notübernachtung 1 Lehrter Straße (Berliner Stadtmission)
Rahmenbedingungen:
Die Notübernachtung öffnet in der Kältehilfesaison von November bis April und wird über das Bezirksamt sowie Spendenmittel finanziert. Die Berliner Stadtmission erhält keine Personalmittel für die Gewinnung und Begleitung von Ehrenamtlichen. Der Personalbedarf für die Koordination der Ehrenamtlichen ist in diesem Arbeitsfeld ge-geben. Die Notübernachtung hat regulär 125 Plätze und es wird stets versucht, über das Essen und den Schlafplatz hinaus ein würdevolles Leben zu fördern. Dies erfolgt unter anderem über warmes Essen und Trinken, Hygieneangebote, Gespräche, An-dachten, Sozialberatung und medizinische Versorgung. Auch mobilitätseingeschränk-te Menschen werden aufgenommen und versorgt. Im 4. Quartal 2020 haben sich hier 100 regelmäßige und rund 170 kurzfristige Ehrenamtliche engagiert, z. B. in der Küche und der Essensausgabe.
Bedarf:
- Systematische, kontinuierliche und verlässliche Freiwilligenkoordination (0,5 VK) über zwei Jahre in der Lehrter Straße 68, 10557 Berlin (im Zentrum am Hauptbahnhof der Berliner Stadtmission); es sollte eine ganzjährige halbe Stelle geschaffen werden, die dann während der Kältehilfesaison mit Vor- und Nachbereitung entsprechend höhere Stundenzahlen hat
- mehr Ressourcen, um die vielen Ehrenamtlichen besser begleiten zu können, z.B. im Falle des Todes eines Gastes
- Unabhängigkeit von der Spendenfinanzierung, über die bislang die nötigsten Strukturen der Ehrenamtskoordination ermöglicht werden
Ziele:
- Stärkung der Ehrenamtlichen - Handlungssicherheit verbessern
- Entlastung der bereits tätigen Akteure in der Begleitung von Ehrenamtlichen
- Ausbau der Freiwilligenkoordination
- Evaluierung der bisherigen Ansätze von Freiwilligenkoordination im Vergleich mit der implementierten im Rahmen des Modellvorhabens
- Bei dieser Evaluierung besonderer Fokus auf der Frage des Personalschlüssels (Stellenanteile in Bezug auf die Zahlen der Ehrenamtlichen oder andere Vergleichsgrößen) im Vergleich mit den Personalschlüsseln bei den anderen Modellvorhaben, auch im Hinblick auf den Vergleich zwischen saisonalen und ganz-jährigen Einrichtungen
Zielgruppen:
1. Ehrenamtliche der Notübernachtung
2. Engagementinteressierte Bürger*innen
Maßnahmen
- Systematisierung und Etablierung einer verlässlichen, professionellen Ehren-amtskoordination: Bedarfsanalysen (in Bezug auf neue Ehrenamtliche, neue Einsatzmöglichkeiten und die Bedürfnisse der bereits Engagierten), Gewinnung von Ehrenamtlichen, Erstgespräche mit Interessierten, Einarbeitung und wertschätzende Begleitung von Ehrenamtlichen mit Schulungen und Aus-tauschangeboten, Formalitäten (Vereinbarungen, Datenschutzerklärungen usw.), Konfliktgespräche, wertschätzende Verabschiedung, Bindung für even-tuelles zukünftiges Engagement, Vernetzung im Sozialraum, Kooperationen; laufender Blick auf die Abgrenzungen zwischen Hauptamt-Ehrenamt
- Weiterhin Ermöglichung und Begleitung von Gruppeneinsätzen, mit einem hohen Anteil an Bildungsarbeit
- Alle von diesen Maßnahmen sollen, soweit es mit einer halben Stelle möglich ist, umgesetzt werden. Wie viel hiervon und in welcher Qualität bei der hohen Zahl an Ehrenamtlichen umsetzbar ist, ist eine der Kernfragen des Modellvorhabens; voraussichtlich werden starke Priorisierungen nötig werden.
Wirkungen von zwei Jahren:
- Stabilisierung und Ausbau der bisherigen Ansätze der Freiwilligenkoordination
- Qualitative Verbesserung der Begleitung der Ehrenamtlichen und damit auch ihrer Unterstützungsleistung für die wohnungslosen Menschen
- Erkenntnisgewinn zum Bedarf (Personalschlüssel) und den Möglichkeiten von Freiwilligenkoordination in der niedrigschwelligen saisonalen Arbeit mit wohnungslosen Menschen
Fazit:
- Die Gelingensbedingungen und die nötigen Personalschlüssel für die Förderung von Engagement durch eine hauptamtliche Freiwilligenkoordination werden erprobt und unter wissenschaftlicher Begleitung ermittelt.
- Es soll als Baustein im Gesamtansatz mit den anderen Modellvorhaben wissenschaftlich begleitet und geprüft werden, inwieweit der Personal-schlüssel mit einer halben Stelle ausreicht, um professionelle Freiwilligen-koordination mit der hohen Zahl an Ehrenamtlichen und der hohen Anfor-derung in einer saisonalen Einrichtung mit all ihren Schritten und Erforder-nissen umfassend umzusetzen. Belastbare Schlüssel sollen entwickelt werden.
- Durch niedrigschwellige Einsatzangebote werden Bürger*innen für die Ar-beit und die Situation wohnungsloser Menschen sensibilisiert (Bildungsas-pekt).
- Bürger*innen werden gestärkt, Gesellschaft mitzugestalten und Selbst-wirksamkeitserfahrungen zu machen
6. Ziele und Laufzeit der Erprobungsphase zur Wirksamkeitsprüfung und der belastbaren Entwicklung von Schlüsseln für die verschiedenen Bereiche im Überblick
Ziele: In der hier beschriebenen Erprobungsphase soll zum einen eine wis-senschaftlich begleitete Wirksamkeitsprüfung von Ehrenamtskoordination in verschiedenen Bereichen der Wohnungsnotfallhilfe erfolgen. Parallel sollen auf diesem Wege belastbare Daten gewonnen werden, welche Personalschlüssel an Ehrenamtskoordination in den verschiedenen Bereichen sinnvoll und an-gemessen sind. Detailziele finden sich in den jeweiligen Modellprojektbe-schreibungen unter 5.
Laufzeit: Januar 2022 bis Dezember 2023
Wissenschaftliche Begleitung: Die wissenschaftliche Begleitung des Modellvorhabens wird in Zusammenarbeit mit einer in diesem Handlungsfeld so-zialer Arbeit erfahrenen Berliner Hochschule unter Beteiligung von Studieren-den beauftragt und begleitet.
Steuerungsgruppe: Die interdisziplinäre Steuerungsgruppe aus der Senatsverwaltung Soziales, bezirklichen Vertretern, dem Fachausschuss Wohnungsnotfallhilfe und der Arbeitsgruppe Freiwilligenmanagement begleiten das Modellvorhaben. Die Aufgaben sind die Auswahl, die Beauftragung und Beglei-tung der wissenschaftlichen Begleitung und ggf. Anpassung und Nachjustierung bei der bedarfsgerechten Ausgestaltung der Ressourcen.
Gesamtkoordination Modellvorhaben (50% RAZ): Für die Koordination der wissenschaftlichen Begleitung, der Begleitung der Steuerungsgruppe und der am Modellvorhaben beteiligten Einrichtungen ist eine Gesamtkoordination vorgesehen.
7. Prüfung der Übertragbarkeit des Modellvorhabens, ggf. Anpassung und Verstetigung
Zwischenevaluation: Während des ersten Jahres werden die Modellvorhaben und ihre Wirkungen projektbegleitend und durch die wissenschaftliche Begleitung evaluiert. Die Zwischenergebnisse werden mit den bereits erzielten Wirkungen im 1. Quartal 2023 zusammenfassend präsentiert und in der Steuerungsgruppe unter Beteiligung der Fachöffentlichkeit diskutiert. Hier werden Anpassungsbedarfe identifiziert und Möglichkeiten einer Verstetigung geprüft.
Prüfung mit Entscheidung: Im zweiten Quartal 2023 fällt unter Abwägung der bereits erzielten Wirkungen die Entscheidung über eine bedarfsgerechte Anpassung und Verstetigung des Modellvorhabens oder seine Beendigung.
Gesamtevaluation: Im ersten Quartal 2024 werden die Wirkungsanalyse des Modellvorhabens über die Gesamtlaufzeit präsentiert und die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen in die Verstetigung des Modellvorhabens bzw. eine Übertragbarkeit in andere Engagementbereiche einfließen.
8. Zusammenfassung
Das zweijährige Modellvorhaben zur Erprobung von Freiwilligenkoordination in der Wohnungslosenhilfe umfasst ein Gesamtbudget von 520.000 € im Doppelhaushalt 2022/2023.
Das Gesamtbudget verteilt sich auf zwei Jahresscheiben:
2022: 260.000 €
2023: 260.000 €
Insgesamt umfasst das Modellvorhaben sechs Einrichtungen aus verschiedenen An-gebotsfeldern der Wohnungslosenhilfe mit insgesamt 3,5 Vollzeitstellen: Standort am Zoo (Zentrum u. Bahnhofsmission), Bahnhofsmission am Ostbahnhof, Notübernach-tung Friedrichshain, Notübernachtung Lehrter Straße/Mitte, Tagesstreff Bahnhof Lichtenberg, Wohnheim für Wohnungslose in Treptow.
Teil des Gesamtbudgets ist eine wissenschaftliche Begleitung durch eine erfahrene Berliner Hochschule, die mit 25.000 € jährlich kalkuliert ist.
Außerdem ist eine Gesamtkoordination des Modellvorhabens mit 0,5 RAZ kalkuliert.
Folgende Wirkungen werden in dem Modellvorhaben angestrebt:
• Empowerment von bis zu 50 wohnungslosen Menschen, die selbst aktiv werden und sich engagieren. Sie erfahren dadurch Teilhabe, Selbstwirksamkeit und Tagesstruktur, die wegweisend für den weiteren Lebensweg sein können
• Koordination, Qualifizierung und Begleitung von mehr als 130 Ehrenamtlichen in der Unterstützung von wohnungslosen Menschen: Ehrenamtliche fühlen sich gut vorbereitet, entsprechend ihren Ressourcen, Interessen und Möglichkeiten eingesetzt und begleitet in ihrem Freiwilligen-Engagement, bedarfsgerechte Qualifizierungsangebote und Praxisbeglei-tungen finden statt, die Zahl von Überforderungen, vorzeitigen Engagementabbrüchen und Konflikten nimmt signifikant ab; neue Anforderungen an Ehrenamtliche und neue Engagementtypen können in die Ehrenamtsarbeit integriert werden
• Das Bewusstsein für soziale Spaltungstendenzen in der Gesellschaft und für die Lebenssituation wohnungsloser Menschen und deren Nöte sowie der empowernden Wirkung der Begegnung auf Augenhöhe steigen signifi-kant
• Die Gelingensbedingungen für die Förderung von Engagement durch eine hauptamtliche Freiwilligenkoordination werden erprobt und unter wissen-schaftlicher Begleitung ermittelt
• Die nötigen Personalschlüssel für die Förderung von Engagement durch eine hauptamtliche Freiwilligenkoordination in den verschiedenen Einsatz-bereichen werden erprobt und unter wissenschaftlicher Begleitung ermittelt
• Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und das Empowerment von wohnungslosen Menschen werden beispielhaft umgesetzt
• Die Angebote der Wohnungsloseneinrichtungen verbessern sich qualitativ und die Konzentration auf Wirkungen für wohnungslose Menschen erhöht sich signifikant
Arbeitsgruppe aus den Verantwortlichen für Ehrenamt aus den Liga-Verbänden und dem Fachausschuss Wohnungsnotfallhilfe