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Positionspapier zu Ehrenamt braucht Hauptamt - Finanzierung von Freiwilligenkoordination und -management in Einrichtungen und Diensten für wohnungslose Menschen

Berlin, den 06.10.2020

Freiwilliges Engagement ist eine wesentliche Stütze für die Versorgung und Unterstützung wohnungsloser Menschen in Berlin. Über das gesamte Jahr hinweg engagieren sich Menschen freiwillig und ehrenamtlich in Wohnungslosentagesstätten und Tagestreffs für Wohnungslose, in Notunterkünften und Wohnheimen oder auch beim Einsatz in Kälte- und Wärmebussen. Sie engagieren sich in Kleiderkammern und Suppen-Küchen, unterstützen bei der hygienischen sowie medizinischen Versorgung und nehmen sich vor allem Zeit für die Men-schen und ihre Lebensgeschichten.

Ohne dieses vielfältige freiwillige Engagement könnten die Träger der Wohnungsnotfallhilfe die (über-)lebenswichtige Versorgung in vielen Bereichen in dem jetzigen Umfang nicht erbringen. Diese Bereitschaft zum Engagement in einem besonders sensiblen Bereich bedarf Unterstützung. Engagierte brauchen hauptamtliche Ansprechpersonen, die ihnen fachlich zur Seite stehen, in schwierigen Situationen unterstützen und darauf achten, dass Engagierte persönliche Grenzen nicht überschreiten und die Abgrenzung zu hauptamtlichen Tätigkeiten gewahrt bleibt.

Bei der Fachveranstaltung „Temperatur sinkt – Engagement steigt?“ am 24.01.2020 mit Senatorin Elke Breitenbach wurde deutlich, dass die Unterstützung des freiwilligen Engagements in der Wohnungsnotfallhilfe konkret gestaltet werden muss.

Um dieses Engagement zu koordinieren und anzuerkennen, empfehlen wir dringend die Einführung einer regelhaften Finanzierung der Freiwilligenkoordination in den Einrichtungen und Projekten vor Ort und eine anteilige Finanzierung des beim Träger angesiedelten Freiwilligenmanagements. Mit der Finanzierung von hauptamtlicher Freiwilligenkoordination in den Not- und Gemeinschaftsunterkünften für geflüchtete Menschen ist der Senat bereits 2016 einen ähnlichen Weg für eine nachhaltige Engagementförderung gegangen.

Wohnungslose Menschen, freiwillig Engagierte sowie Hauptamtliche profitieren davon gleichermaßen:

- Trotz zahlreicher lobenswerter Maßnahmen, die getroffen wurden, werden die Herausforderungen im Bereich der Wohnungslosenpolitik auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden sich auch auf die Mieterinnen und Mieter der Stadt auswirken. Wir rechnen mit einem Anstieg der Mietzahlungs-schwierigkeiten, der Wohnungsnotfälle und letztendlich mit zunehmendem Wohnungsverlust. Eine hauptamtlich ausreichend ausgestattete Wohnungsnotfallhilfe, die durch das freiwillige Engagement ergänzt wird, ist damit wichtiger denn je.

- Die Engagementforschung zeigt, dass in vielen Bereichen hauptamtliche Freiwilligenko-ordination keine Begleiterscheinung ist, sondern oft den strukturierten Einsatz von freiwillig Engagierten überhaupt erst möglich macht und Kontinuität gewährleistet, weil die Zufriedenheit der Engagierten steigt.

- Gerade die Wohnungsnotfallhilfe als besonders sensibler sozialer Bereich erfordert von Freiwilligen ein hohes Maß an Engagement, Einsatzbereitschaft und Belastbarkeit. Eine Freiwilligenkoordination schafft hier Verlässlichkeit und Ansprechbarkeit, übt eine Schutzfunktion für Engagierte aus und fungiert gleichzeitig als Schnittstelle zu anderen Hauptamtlichen, wenn es erforderlich ist.

- Freiwillige in der Wohnungsnotfallhilfe benötigen eine fundierte und umfangreiche Einstiegsqualifizierung und permanente Weiterbildung und Praxisbegleitungen, um sich zielführend und nachhaltig engagieren zu können. Es ist Aufgabe der Freiwilligenkoordination, dies sicherzustellen.

- Die Bereitschaft für eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Wohnungsnotfallhilfe ist groß, wie die große Unterstützung bei der Nacht der Solidarität gezeigt hat. Das Engagement für und mit wohnungslosen Menschen bietet eine sinnhafte und unter den richtigen Rahmenbedingungen erfüllende Tätigkeit. Dieses Potenzial kann durch Freiwilligenkoordination besser nutzbar gemacht werden.

- Eine professionelle Freiwilligenkoordination sorgt für eine kontinuierliche Anzahl von freiwillig engagierten Menschen, indem sie die Kontakte zu Institutionen des Engagements wie Freiwilligenagenturen aufrechterhält und aktiv für freiwilliges Engagement wirbt. Professionell unterstütztes freiwilliges Engagement fördert Inklusion und Teilhabe. Durch Motivation und hauptamtliche Begleitung werden wohnungslose Menschen befähigt, sich als Expert*innen aus Erfahrung in Einrichtungen und Projekten zu engagieren. Die Erfahrung selbst zu gestalten und andere wohnungslose Menschen zu unterstützen wird positiv erlebt und stärkt die Selbstwirksamkeit. Ehrenamtliche Multiplikator*innen, die als Expert*innen aus Erfahrung mitarbeiten, können wohnungslose Menschen, die außerhalb des institutionellen Hilfesystems leben, oftmals besser erreichen.

- Freiwilligenkoordination wirkt sozialräumlich: Die Erfahrungen aus der Einführung finanzierter Freiwilligenkoordination in den Gemeinschafts- und Notunterkünften für geflüchtete Menschen zeigen, dass Angebote und Möglichkeiten des Sozialraums im großen Maße besser genutzt werden konnten.

- Die Zusammenarbeit mit Engagierten in der Wohnungsnotfallhilfe schafft Berührungspunkte zwischen Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, und Menschen, die es nicht sind. So leistet das Engagement einen Beitrag dazu, der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Daraus schließen wir:
- Es bedarf einer qualifizierten hauptamtlichen Freiwilligenkoordination im Umfang einer Vollzeitstelle für die Betreuung von bis zu 40 Engagierten plus Sachkosten (z.B. für Aus- und Weiterbildung von Engagierten, Budget für die Anerkennungskultur, Auslagenerstattung für Engagierte, Supervision).

- Zusätzlich sollte das Freiwilligenmanagement des Trägers mit einer Pauschale von 10 % der Höhe der Finanzierung der Freiwilligenkoordination in der Einrichtung mitfinanziert werden, z.B. für Qualitätsmanagement, Wirkungsorientierung, Lobbyarbeit, Anerken-nungskultur des Trägers, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung.

Wir fordern:
- die Benennung eines verantwortlichen Ressorts auf Senatsebene;
- die Definition von einheitlichen Qualitätsstandards in der Qualifizierung und Begleitung von Freiwilligen in der Wohnungsnotfallhilfe;
- ein Finanzierungskonzept Freiwilligenkoordination und Freiwilligenmanagement mit einer Regelförderung sowie
- Einbettung der Finanzierung von Freiwilligenkoordination in die bedarfsgerechte gesamt-städtische Strategie der Wohnungsnotfallhilfe.

Eine Landesfinanzierung soll nicht zulasten bestehender Förderungen erfolgen, sondern durch zusätzliche Mittel.
Die hier aufgeführten Forderungen stehen im Einklang mit der aktuellen Fassung der sich der-zeit in Entwicklung befindlichen Berliner Engagementstrategie. Hier wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass Förderprogramme die Finanzierung von Personal und Ressourcen für Freiwil-ligenkoordination und -management explizit ermöglichen müssen.

Gerne stehen wir der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales bei der konkreten Ausgestaltung der Finanzierung von Freiwilligenkoordination und –management in Einrichtungen und Projekten der Wohnungsnotfallhilfe beratend zur Verfügung.

Oliver Bürgel
LIGA-Vorsitzender

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Positionspapier_Ehrenamt braucht Hauptamt

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