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Stellungnahme zum Betreibervertrag

06.06.2016
Der neue Betreibervertrag für Containerdörfer für Flüchtlinge in Berlin ist ungenügend

Massive Kritik an dem Entwurf des Mustervertrages für Flüchtlingsunterkünfte

Sehr geehrte Damen und Herren,
seit wenigen Tagen liegen der Entwurf des Mustervertrages für Flüchtlingsunterkünfte sowie des Aufhebungsvertrages für Betreiber von Notunterkünften vor. Beide Vertragsentwürfe weisen für die Betreiber erhebliche Risiken auf und sind aus Sicht der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege nicht tragbar. Deshalb empfiehlt die Liga sehr, die Unterzeichnung dieser Verträge in der jetzigen Fassung zu überprüfen. Dies gilt auch für die Bewerbung für die nun ausgeschriebenen Flüchtlingsunterkünfte (Containerdörfer).

Mustervertrag für neue Flüchtlingsunterkünfte

Im Rahmen der Betreibertreffen wurde vereinbart, dass die Kompetenzen und die Erfahrungen der Betreiber und der Wohlfahrtsverbände in die Entwicklung des Mustervertrages für neue Flüchtlingsunterkünfte einfließen. Dazu wurde eine Fokusgruppe mit Betreibern, der Liga, dem Verband Berliner Flüchtlingsheimbetreiber und dem LAGeSo gebildet, um Grundlagen für den Vertrag zu entwickeln. Die Zusammenarbeit lief sehr konstruktiv und es konnten wichtige Standards und Qualitätsanforderungen gemeinsam entwickelt werden. Jedoch wurde zu keiner Zeit trotz mehrfacher Nachfrage der Entwurf des Mustervertrages zur Verfügung gestellt.

Am 24. Mai erhielt die „Fokusgruppe“ einen Entwurf des Mustervertrages mit 63 Seiten Vertrags- und Anlagentext zuzügl. Vol/B und deren Anlagen durch das LAGeSo. Die Übersendung des Mustervertrages wurde mit der Erwartung verknüpft, dass nach „zwei bis drei Wochen“ ein einheitliches und gemeinsames Feedback gegeben wird. Andernfalls wäre eine angemessene Prüfung aus Kapazitätsgründen kaum möglich. Gleichwohl wurde mitgeteilt, dass diese Verträge Grundlage der ersten zwei Ausschreibungen werden. Inzwischen ist klar, dass diese auch bei den Ausschreibungen weiterer 7 Objekte genutzt wurde. Mit der Ausschreibung sind die Verträge rechtlich verbindlich.

Noch vor abschließenden Stellungnahmen der von den Verbänden beauftragten Anwälte haben die LIGA-Geschäftsführer dem LAGeSo am Freitag, 03. Juni, folgende grundsätzliche Einschätzung gegeben:

Der Vertrag wird in seinen Regelungen nicht dem im § 2 Abs. 1 postuliertem Grundsatz der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gerecht. Er bürdet dem Betreiber erhebliche Risiken und Verantwortungen auf und stellt das Land Berlin auf der anderen Seite von vielen Verpflichtungen und Haftungen frei.

Somit wird durch das Land Berlin ein Vertrag vorgegeben, der keine gleichberechtigte Vereinbarung darstellt, sondern im Gegenteil sämtliche mögliche Probleme in die Verantwortung und das Risiko des Betreibers stellt. Kein Träger ohne andere Zwänge kann oder sollte einen solchen Vertrag unterzeichnen, da sich daraus unkalkulierbare Risiken ergeben.

Aus unserer Sicht beziehen sich die Probleme auf folgende Komplexe:

  • Es wird in der Präambel von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gesprochen. Der Vertrag ist vom Gegenteil geprägt. Er sieht weitgehende Eingriffsrechte des Landes in die Einrichtung vor und ermöglicht dem Betreiber kaum konzeptionelle Gestaltungsmöglichkeit. Selbst die Raumnutzung wird im Detail durch Berlin bestimmt.
  • Das Land Berlin kann jederzeit Vertragsgrundlagen einseitig ändern. Der Betreiber soll Entwicklungen Berlins zur Integration jederzeit umsetzen, ohne dass definiert wird, was das bedeutet und wie es mit dem Mehraufwand aussieht.
  • Berlin kann jederzeit die Art der Unterkunft ändern.
    § 1 Abs. 7: Berlin ist zu nachträglichen Änderungen der Art, der Größe, der Kapazität und der Lage der Unterkunft berechtigt. Berlin ist weiterhin zu nachträglichen Änderungen der in diesem Vertrag und seinen Anlagen geregelten Leistungen, Qualitätsanforderungen und / oder Rahmenbedingungen berechtigt. Die Betreiberin / der Betreiber wird die Änderungen unverzüglich umsetzen. Gleiches gilt für den Fall von Änderungen z.B. von Gesetzen oder Verordnungen mit Bezug auf die Unterbringung und Versorgung des gemäß § 1 betroffenen Personenkreises. Ferner beachtet die Betreiberin / der Betreiber aktuelle Entwicklungen und Pläne Berlins zum Thema Integration und setzt diese auf Abforderung Berlins um.
  • Berlin kann jederzeit Änderungen des Abrechnungsverfahrens vornehmen.
    § 10 Abs. 6: Berlin ist jederzeit berechtigt, Änderungen des Abrechnungsverfahrens vorzunehmen.
  • Der Betreiber ist nur noch ein Weisungsempfänger.
    §2 Abs. 10 : Berlin kann der Betreiberin / dem Betreiber Weisungen erteilen. An diese ist die Betreiberin / der Betreiber gebunden. Über wesentliche Maßnahmen ist so rechtzeitig zu informieren, Vertragsentwürfe sind so rechtzeitig zu übersenden, dass Berlin von seinem Weisungsrecht effektiv Gebrauch machen kann.
  • Gleichzeitig soll der Betreiber für alles die alleinige Verantwortung übernehmen:
    § 4 Abs. 7: Die Betreiberin / der Betreiber führt die übernommenen Aufgaben in eigener Verantwortung durch. Soweit Berlin ihr / ihm beratend zur Seite steht, ändert das nichts an der Eigenverantwortung der Betreiberin / des Betreibers.
  • Es gibt keinerlei Ausführungen zu den Pflichten Berlins z.B. zur Betreiberinformation und zu Betreibertreffen.
  • Leistungen sollen nach Tagessätzen bezahlt werden. Nicht belegte Plätze sollen nicht bezahlt werden, aber das ganze Personal soll vorgehalten werden. Eine Änderung ist erst verhandelbar, wenn die Auslastung von unter 60% der Kapazität nach drei Monaten anhält. Die Belegung erfolgt allein durch das Land.
    § 2 Abs. 11: In Krisensituationen wird die Betreiberin / der Betreiber die zusätzliche Aufnahme von Personen schnellstmöglich durchführen und organisieren.
    § 9 Abs. 7 Die Betreiberin / der Betreiber hat keinen Anspruch auf Vollbelegung.
    § 20 Abs. 4: Im Falle einer unzureichenden Belegungssituation infolge eines Rückgangs der Unterbringungszahlen (Auslastung von unter 60% der Kapazität über drei Monate), werden die Parteien über eine Anpassung des Vertrages (zum Beispiel Personalschlüssel) verhandeln. Finden die Parteien keine Einigung, steht diesen ein außerordentliches Kündigungsrecht mit einer Frist von drei Monaten zu. Die Betreiberin/ der Betreiber wird in ihren Geschäftsverhältnissen diese Kündigungsregelung berücksichtigen.
    § 22 Abs. 9: Kommt es in der Unterkunft infolge von Krankheiten zu einer Gesundheitsgefährdung so kann Berlin einen Belegungsstopp vornehmen.
  • Der Betreiber darf nicht selbstständig mit der Presse sprechen.
    § 5 Abs. 6: Dem Umgang mit Presse und Rundfunk kommt im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Vertrages besondere Bedeutung zu. Der Betreiber hat dafür Sorge zu tragen, dass keine Informationen, die mit der Durchführung dieses Vertrages in Zusammenhang stehen, durch ihn, seine Mitarbeiter oder Erfüllungsgehilfen an die Öffentlichkeit gelangen. Die Betreiberin / der Betreiber verpflichtet sich in Erfüllung seiner Pflicht zur Geheimhaltung daher insbesondere, seine Mitarbeiter und Erfüllungsgehilfen anzuweisen, keine Stellungnahmen gegenüber Presse und Rundfunk abzugeben. Die Betreiberin / der Betreiber selbst ist verpflichtet, Stellungnahmen gegenüber Presse und Rundfunk mit Berlin abzustimmen.
  • Er kann selber nicht Ehrenamtliche den Zutritt verbieten, wenn es Probleme gibt. Dies geht erst mit schriftlicher Zustimmung Berlins und bei gewichtigen Sachgründen.
    § 6 Abs. 1: Zu den Aufgaben der Betreiberin / des Betreibers zählt die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen und freiwilligen Initiativen und den örtlichen Stadtteilzentren sowie deren Koordination und Unterstützung. Hierzu stellt die Betreiberin / der Betreiber den Ehrenamtlichen und Initiativen verfügbare Gemeinschaftsräume für die Durchführung integrativer Maßnahmen unentgeltlich zur Verfügung. Berlin hat das Bestimmungsrecht bezüglich der Raumaufteilung, Verfügbarkeit und Raumnutzung.
    § 6 Abs. 3: Die Betreiberin / der Betreiber pflegt mit den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern einen rücksichtsvollen, partnerschaftlichen Umgang und strebt eine konstruktive Konfliktlösung an, gegebenenfalls nach einem von Berlin festgelegten Verfahren (Schlichtungsverfahren). Die Betreiberin / der Betreiber wird Hausverbote gegenüber ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern nur aus gewichtigen Sachgründen und mit schriftlicher Zustimmung Berlins erteilen. Berlin kann bestimmen, dass in geeigneten Fällen eine Schlichtung nach einem von Berlin festgelegten Verfahren durchgeführt wird.
  • Die Finanzierungsmechanismen weisen eine Mischung zwischen Zuwendung und Entgelt auf. Siehe z.B.:
    § 6 Abs. 4 Die Betreiberin / der Betreiber kann Spenden von Dritten für die untergebrachten Personen entgegennehmen. Erhält der Betreiber Spenden in Form von Gegenständen, die der Betreiber vertraglich vorzuhalten hat und für die Berlin ein Entgelt entrichtet (z.B. Hygieneartikel), so ist der Betreiber verpflichtet, diese Spenden gesondert gegenüber Berlin anzuzeigen und mit dem Entgelt zu verrechnen.
  • Die Pflichten der BIM sind nicht richtig geregelt, letztendlich haftet der Betreiber aber im umfassenden Sinn.
    § 13 Abs. 1: Die Betreiberin / der Betreiber ist verpflichtet, den Vertragsgegenstand zu erhalten. Hierzu übernimmt diese / dieser sämtliche objektbezogenen Leistungen, die nicht gemäß der Bestimmungen dieses Vertrages und seiner Anlagen, insbesondere der Leistungs- und Qualitätsbeschreibung (Anlage 1), der Leistungsmatrix Bewirtschaftung (Anlage 14) oder gemäß Mietvertrag bzw. Nutzungsüberlassungsvertrag (Anlage 11) dem Vermieter, dem Eigentümer, einem Dritten oder einer von Berlin beauftragten Objektverwaltung zugewiesen sind.
    § 13 Abs. 2: Die Betreiberin / der Betreiber wertet die vorgenannten Unterlagen aus und informiert Berlin, welche Leistungen hiernach durch sie / ihn oder durch einen anderen zu erbringen sind.
  • Der Betreiber muss in Echtzeit die Raumbelegung melden. Das verstößt gegen Personenschutzrechte.
    § 4 Abs. 8: Die Betreiberin / der Betreiber meldet Berlin die Bettenzuordnung mittels Software in Echtzeit. Die benutzte Software muss kompatibel zu dem von Berlin genutzten System sein. Solange dieses System nicht eingerichtet ist, meldet die Betreiberin / der Betreiber frei werdende Plätze und nichtbelegte Plätze im Vertragsobjekt täglich bis spätestens 8:00 Uhr in ein von Berlin hierfür vorgegebenes System.
  • Er haftet bei der Erstausstattung für Schäden durch seine untergebrachten Personen.
    § 14 Abs. 2 Die Betreiberin / der Betreiber behandelt die Sachen Berlins pfleglich und schonend. Sie / er haftet für Beschädigungen der Ausstattung, die durch die Verletzung der ihr / ihm obliegenden Sorgfalts- und Anzeigepflicht entstehen, insbesondere wenn er / sie die Ausstattung unsachgemäß behandelt. Die Betreiberin / der Betreiber haftet auch für Schäden, die durch seine Erfüllungsgehilfen und / oder untergebrachte Personen verursacht wurden.
  • Vorhaltekosten werden nicht übernommen. Viele Betreiber bringen sich dadurch in Insolvenzgefahr.
    § 3 Abs. 5: Zahlungspflichten Berlins entstehen erst für Sachverhalte ab Belegungsbeginn; ausgenommen sind Sachverhalte, die zuvor durch Berlin schriftlich in Auftrag gegeben wurden.
    § 20 Abs. 1: Berlin steht ein Sonderkündigungsrecht dieses Vertrages zu, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrages noch eine oder mehrere Genehmigungen (z.B. eine Baugenehmigung) einzuholen sind und diese versagt werden oder vorliegende Genehmigungen später widerrufen werden.
    §11 Abs. 1: Die Zahlungen erfolgen kalendermonatlich im Nachhinein. Berlin zahlt innerhalb von 30 Kalendertagen nach Rechnungseingang.
    § 11 Abs. 2: Die Betreiberin / der Betreiber kann ab dem zweiten Monat der Leistungserbringung eine Abschlagszahlung auf den Tagessatz zum 15. des jeweiligen Monats für die Vertragslaufzeit beantragen. Diese beträgt jeweils 50% der zuletzt auf die Sammelabrechnung zum Tagessatz bezahlten Summe. (Kommentar: Diese liegt frühestens 9 Wochen nach Eröffnung vor) Die Abschlagszahlungen werden auf den durch Berlin auszuzahlenden Rechnungsbetrag angerechnet, für den die Abschlagszahlungen geleistet wurden. Überzahlungen hat die Betreiberin / der Betreiber ohne Weiteres zurück zu erstatten; Berlin kann ohne weitere Voraussetzungen verrechnen. Abschlagszahlungen gelten nicht als Abnahme von Teilen der Leistung.

Zur durch das LAGeSo versandten Aufhebungsvereinbarung an Betreiber von Notunterkünften / Turnhallen

Die Verbände haben deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die verschickten Aufhebungsvereinbarungen die Träger, die sehr spontan, mit hohem Risiko und auf der Grundlage von mündlichen Verträgen bzw. „Letter of Intent“ Notunterkünfte übernommen haben, zumindest in Teilen schlechter stellt als der bisherige vertragslose Zustand. Wir haben das LAGeSo darüber informiert, dass wir unseren Mitgliedern dringend empfehlen werden, die zugesandte Aufhebungsvereinbarung nicht zu unterzeichnen. Das LAGeSo hat daraufhin zugesagt, eine Gesprächsrunde einzuladen, um die Aufhebungsvereinbarung noch einmal zu überarbeiten. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir dringend mit der Unterzeichnung von Verträgen zur Beendigung des Betriebes einer Flüchtlingsunterkunft abzuwarten.

Wir werden Sie über den Fortgang und die Ergebnisse der Gespräche mit dem LAGeSO und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales unmittelbar informieren. Bislang sieht es so aus, dass die Ausschreibung der Containerdörfer weiterläuft. Dies würde bedeuten, dass sich kaum geeignete Betreiber auf die Ausschreibung bewerben können bzw. dabei ein unkalkulierbares Risiko eingehen.

Wir werden die Gespräche mit den zuständigen Stellen weiterführen, um noch eine gemeinsame Lösung zu erreichen. Denn es sollte das Ziel Berlins sein, dass sich qualitätsorientierte Betreiber auf die Unterkünfte bewerben können und nicht von vornerein ausgeschlossen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Ulrike Kostka
Vorsitzende

Christian Thomes
Leitung Gesundheit- und Sozialpolitik

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Brief Betreiberverträge

Brief Betreiberverträge

Stand: 06.06.2016

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Anmerkungen Betreibervertrag

Anmerkungen Betreibervertrag

Stand: 09.06.2016

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