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Freiwilligenkoordination in der Wohnungsnotfallhilfe sichern und stärken

Berlin, den 20.03.2025

Einleitung
Freiwillig Engagierte leisten jeden Tag ehrenamtliche Unterstützung für wohnungslose Menschen. Das Engagement in Tagesstätten, Notunterkünften, in der Kältehilfe sowie in weiteren niedrigschwelligen Projekten ist eine tragende Säule der Wohnungsnotfallhilfe. Ohne Unterstützung Freiwilliger in Kleiderkammern, Suppenküchen oder bei medizinischen und hygienischen Angeboten ist eine Versorgung der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen für soziale Organisationen nicht leistbar. Freiwilliges Engagement, das nachhaltig Wirkung entfaltet, setzt eine professionelle Koordination voraus. Freiwilligenkoordinator*innen begleiten Ehrenamtliche, bereiten sie auf ihr Engagement vor und unterstützen in schwierigen Situationen. Sie stellen die gute Zusammenarbeit von Freiwilligen und Fachkräften sicher. Und sie beugen einer Überforderung von Ehrenamtlichen vor. Denn das freiwillige Engagement in der Wohnungsnotfallhilfe setzt immer eine ausreichende Ausstattung mit Fachkräften voraus.1

Um freiwilliges Engagement in der Wohnungsnotfallhilfe zu stärken, werden seit Februar 2023 professionelle Freiwilligenkoordinationen in vier Einrichtungen modellhaft durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) gefördert:

  • TagesTreff Weitlingstraße (Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Berlin-Brandenburg KdöR)
  • Bahnhofsmission am Ostbahnhof (IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit für das Erzbistum Berlin gGmbH)
  • Bahnhofsmission am Zoo (Verein für Berliner Stadtmission)
  • Notübernachtung Lehrter Straße (Verein für Berliner Stadtmission)

Im Rahmen des ursprünglich von der LIGA Berlin entwickelten Modellkonzeptes sollte auch die Koordination von Freiwilligen in Unterkünften nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG Bln) erprobt werden.2 Doch mit Verweis auf die in Planung befindliche Gesamtstädtische Unterbringung (GStU) und der Zuständigkeit nach Ordnungsrecht wurde die ASOG-Einrichtung „Heim im Kiez“ der Unionhilfswerk Soziale Dienste gemeinnützige GmbH bedauerlicherweise nicht durch Zuwendungsmittel der SenASGIVA gefördert. Ersatzweise wurde die modellhafte Erprobung von Freiwilligenkoordination an dem Standort von 2023 bis Ende 2024 durch den Paritätischen Wohlfahrtsverband LV Berlin e.V. finanziert und wirkungsorientiert begleitet.

Die zentralen Ziele des Modellprojektes sind:

  • Strukturierte Einbindung von Freiwilligen in Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe, um deren Wirkung zu optimieren.
  • Stärkung der Selbstwirksamkeit wohnungsloser Menschen durch partizipative Engagementmöglichkeiten (Empowerment).
  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, um Synergien zu schaffen und die Betreuungsqualität zu erhöhen.
  • Langfristige Sicherung der Freiwilligenkoordination durch Evaluierung und die Entwicklung tragfähiger Finanzierungsmodelle.
  • Erkenntnisse für bedarfsgerechte Personalschlüssel zu gewinnen, um die Entwicklung von Kriterien für notwendige Stellenanteile für verschiedene Bereiche der Wohnungsnotfallhilfe zu gewährleisten.
Effekte und Wirkungen des Modellprojektes

Die ursprünglich geplanten Mittel für die begleitende wissenschaftliche Evaluierung des Modellprojektes wurden von der zuwendungsgebenden Stelle nicht bewilligt. Stattdessen konnte das Europa Institut Berlin für eine Zwischenevaluation gewonnen werden.3 Diese sowie die wirkungsorientierte Berichterstattung des Unionhilfswerkes4 zeigen klare positive Effekte.
  1. Für wohnungslose und obdachlose Menschen:
    1. Verbesserte und teilweise Aufrechterhaltung der Grundversorgung durch gezielt koordinierte freiwillige Helfer*innen, beispielsweise in den Bereichen Essensausgabe, Hygiene und unterstützende Gesprächsangebote.
    2. Selbstwirksamkeitserfahrungen, Tagesstruktur und Aktivierung persönlicher Ressourcen im Rahmen eines eigenen Engagements (Empowerment).
    3. Teilweise Erhöhung der Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten durch die Präsenz von Freiwilligen.
    4. Verringerung von Isolation und Stärkung des Selbstwertgefühls durch gemeinsame Aktivitäten und den sozialen Austausch.


  1. Für Freiwillige:
    1. Verbesserte Zufriedenheit und Resilienz der Freiwilligen durch die professionelle Begleitung der Freiwilligenkoordination.
    2. Stärkung des Bewusstseins für strukturelle Ursachen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit durch Qualifizierungsmaßnahmen und Reflexionsrunden mit anderen Freiwilligen.
    3. Höhere Identifikation mit dem Projekt und eine Zunahme an langfristigem Engagement infolge der kontinuierlichen Begleitung und Wertschätzung durch die Freiwilligenkoordination.


  1. Für die Organisationen:
    1. Eine verstärkte Einbindung von Freiwilligen entlastet das hauptamtliche Personal und verbessert die Arbeitsatmosphäre in den Einrichtungen.
    2. Professionalisierung der Freiwilligenkoordination führte zur effizienteren Nutzung von Ressourcen und besser abgestimmten Einsatzplänen.
    3. Ehrenamtliche bleiben länger – Einrichtungen mit etablierten Freiwilligenkoordinator*innen verzeichnen eine höhere Bindung und einen längeren Verbleib der freiwillig Engagierten.


  1. Für den Sozialraum und die Demokratieförderung:
    1. Stärkere Vernetzung der Einrichtungen mit dem Sozialraum, wodurch Anwohner*innen mehr Verantwortung für wohnungslose Menschen übernehmen.
    2. Freiwilligenarbeit als Instrument gegen gesellschaftliche Spaltung durch direkte Begegnungen verschiedener sozialer Gruppen.
    3. Langfristig trägt die Zusammenarbeit zwischen haupt- und ehrenamtlichen Akteuren zur Förderung des Zusammenhalts in einer inklusiven Stadtgesellschaft bei.

An den Standorten der beiden Bahnhofsmissionen, der Tagesstätte, der Notübernachtung und ASOG-Unterkunft konnten die beschriebenen Wirkungen klar nachgewiesen werden. Die Evaluierungsergebnisse legen nahe, dass pro Einrichtung mindestens eine halbe Vollzeitstelle für die Freiwilligenkoordination erforderlich ist, um nachhaltige Effekte zu erzielen.

Forderungen und Empfehlungen

Für die nachhaltige Verankerung und Ausweitung der in ihren Effekten und Wirkungen oben beschriebenen Freiwilligenkoordination bedarf es:

  1. Weiterförderung des Modellprojektes 2026/2027
    1. Sicherstellung der finanziellen Förderung zur Verstetigung und Erweiterung der bestehenden Standorte.
    2. Wissenschaftliche Begleitung mit einem Fokus auf die qualitative und quantitative Entwicklung des freiwilligen Engagements sowie die Erarbeitung von Kriterien für bedarfsgerechte Personalschlüssel.
  2. Verankerung der Freiwilligenkoordination in der Gesamtstädtischen Unterbringung (GStU). 
    1. Analog zur Ehrenamtskoordination in LAF-Unterkünften sollte auch in derzeitigen ASOG-Unterkünften eine strukturelle Verankerung erfolgen.
    2. Die kommende Musterkonzeption der GStU sollte explizit eine Mindestpersonalstärke für Freiwilligenkoordination vorsehen.
    3. Mit der Einführung der Musterkonzeption im Rahmen der GStU ist es erforderlich, die Bezirke in die Lage zu versetzen, die Stellenanteile für Freiwilligenkoordination als Teil verbindlicher Qualitätsstandards zu finanzieren.
    4. Bis zur Implementierung der GStU sollten Modellprojekten der Freiwilligenkoordination in ASOG-Unterkünften finanziert werden.
  3. Entwicklung einer Strategie für die flächendeckende Umsetzung ab 2028
    1. Erstellung eines Stufenplans zur schrittweisen Implementierung von Freiwilligenkoordination in weiteren Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe.
    2. Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung über gesicherte Haushaltsmittel.
    3. Berücksichtigung der bisherigen Evaluationsergebnisse zur optimalen Gestaltung der Rahmenbedingungen für Freiwilligenkoordination.
    4. Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen für Freiwilligenkoordinator*innen, um ein einheitliches Qualitätsniveau sicherzustellen.
    5. Aufbau von interdisziplinären Netzwerken zwischen Verwaltung, Freien Trägern und freiwillig Engagierten zur kontinuierlichen Verbesserung der Zusammenarbeit.
Fazit

Freiwilliges Engagement ist zur Aufrechterhaltung einer Grundversorgung und Stärkung wohnungsloser und obdachloser Menschen unabdingbar. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass professionelle Freiwilligenkoordination in der Wohnungsnotfallhilfe dafür eine wichtige Säule ist.
  • Sie stärkt die Einbindung der Zivilgesellschaft, trägt zur sozialen Integration und fördert dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, indem Stigmata und Vorurteile gegenüber wohnungs- und obdachlosen Menschen abgebaut werden können.
  • Sie ermöglicht, den sich verändernden Erwartungen von Freiwilligen nach kurzzeitigerem und flexiblerem Engagement gerecht zu werden.
  • Sie ist notwendig, um die Ressource des freiwilligen Engagements weiterhin zugunsten der wohnungslosen und obdachlosen Menschen zu erschließen.
  • Sie befähigt Betroffene, sich selbst zu engagieren (Empowerment).
Die hier formulierten Empfehlungen bieten eine fundierte Grundlage für eine langfristige Strategie zur Integration freiwilligen Engagements in die Wohnungsnotfallhilfe Berlins.

Kontakt:
David Klässig | Fachreferent für Armut, Wohnen und Straffälligkeit
Arbeiterwohlfahrt Landesverband Berlin e.V.

Hallesches Ufer 30A | 10963 Berlin
Telefon: +49 30 / 25 38 92 25
Mobil: +49 / 162 216 85 89
Fax: +49 30 / 253 89 344
E-Mail: [E-Mail anzeigen]

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